Auf Instagram, TikTok, YouTube sowie anderen Social Media Kanälen gibt es immer mehr Coaches, die Erfolg versprechen, wenn man nur bestimmte Routinen befolgt: „Mit diesen 10 Tipps wirst du Millionär“ oder „Fünf Morgenroutinen erfolgreicher Menschen!“. Auf diese Art und Weise entsteht der Eindrück, wenn wir nur diese Tipps befolgen, werden wir genauso erfolgreich werden wie diese Menschen.

Ähnliche Ratschläge kommen aus der Esoterik, unter anderem aus dem Bereich Mindset Coaching. Hier wird erklärt: „Wenn Du nur einen bestimmten Mindset Dir antrainierst, wirst Du erfolgreich werden!“, „Gesetz der Anziehung“. Ein bekanntes Buch aus diesem Genre ist „The Secret – Das Geheimnis“ von Rhonda Byrne. Frau Byrne stellt die These auf, dass wir per Gendankenkontrolle (Mindset) die „richtigen“ Ergebnisse in unserem Leben erreichen werden. Es werden Beispiele von Menschen gezeigt, die sich etwas bestimmtes gewünscht haben, dann in der empfohlenen Art und Weise über den Wunsch nachgedacht haben – und zack! – schon geht der Wunsch in Erfüllung!

Doch funktionieren diese Ratschläge wirklich? Werde ich genauso reich wie Bill Gates, wenn ich mich wie Bill Gates verhalte oder mir ein bestimmtes Anziehungsmindset antrainiere?

Kognitive Verzerrung oder die stummen Zeugen

Leider ist die Realität nicht so einfach. Die oben aufgeführten Beispiele zeigen eine Art von Verzerrung, welche in der Statistik auch als Survivorship Bias bekannt ist.

Das Problem mit den Tipps wie „10 Geheimnisse der erfolgreichen Menschen“ ist, dass sie die sogenannten stummen Zeugen nicht berücksichtigen.

Nassim Taleb hat die Problematik der stummen Zeugen in seinem Buch „Der Schwarze Schwan“ mit einer Geschichte aus der Antike sehr schön beschrieben. Man zeigte einem nicht an Gott glaubenden Menschen Tafeln mit Bildern von Betenden, die ein Schiffsunglück überlebt hatten. Die Aussage: Das Beten hat diese Menschen vor dem sicheren Tod beschützt. Daraufhin fragte der Ungläubge: „Wo sind die Tafeln mit Bildern der Menschen, die gebetet haben und das Schiffsunglück nicht überlebt haben?“.

Die Toten sprechen nicht

Die Toten sprechen nicht. Sie können uns ihre Geschichte nicht mitteilen. Wir kennen nur die Geschichten der „Überlebenden“. Deswegen gab es auch keine Tafeln von betenden Menschen, die das Schiffsunglück nicht überlebt haben. Sie können keine Tafeln malen, weil sie tot waren. Auf dieser Tatsache beruht die kognitive Verzerrung, die in der Literatur unter dem Begriff Survivorship Bias bekannt ist.

Survivorship Bias Definition

Survivorship Bias (deutsch: Überlebenden-Verzerrung) bezeichnet eine kognitive Verzerrung. Nach dem Survivorship Bias werden Wahrscheinlichkeiten eines Erfolgs systematisch überschätzt, da erfolgreiche Personen oder Zustände stärker sichtbar sind als nicht erfolgreiche.

Wikipedia

Das Vorhandensein von Survivorship Bias in statistischen Auswertungen ist sehr gefährlich, denn er kann die Datensätze verzerren. Auf diese Art und Weise verlieren statitsiche Modelle aber auch anspruchsvolle Machine Learning Modelle ihre Aussagekraft, denn „faule“ Daten führen zu „faulen“ Ergebnissen. Aus diesem Grund ist es sehr wichtig die Datenerhebung immer zu hinterfragen und auf das Vorhandensein von Survivorship Bias zu überprüfen.

Beispiele für Survivorship Bias

Customer Churn (Kundenabwanderung)

Ein konkretes Beispiel für so einen Bias in den Daten wäre ein Kundendatensatz, welcher nur die Daten der bestehenden Kunden beinhaltet und die gekündigten Verträge nicht berücksichtigt. Aus so einem Datensatz können wir bestimmte Informationen nicht entnehmen. Wenn wir beispielsweise die Kundenzufriedenheit auf der Basis von bestehenden Kunden messen, werden wir keine Informationen darüber erhalten, welche Produktfeatures womöglich nicht gut funktionieren und als Grund für die Kündigungen anzusehen sind. In unserem Datensatz sind nur die Kunden enthalten, denen das Produkt gefallen hat, nicht aber die derhenigen, die mit dem Produkt nicht zufrieden waren.

Medizin

Survisorship Bias kann insbesondere im medizinischen Bereich gefährlich werden. Hier sind u.a. Internetforen zu verschiedenen medizinischen Themen problematisch. Wenn Klaus M. eine Therapie geholfen hat und er sie anderen Userinnen auf dem Forum empfiehlt, muss es nicht bedeuten, dass die Therapie erfolgreich ist.

Neuestes Beispiel der kognitiven Verzerrung, welches u.a. aus diversen Internetforen stammt, ist die Idee Bleichmittel als Mittel gegen eine Corona-Infektion einzusetzen. Auf vielen Internetforen, insbesondere im Esoterikbereich, sind Berichte zu lesen, dass die Person A Bleichmittel getrunken habe und deswegen ihre Coronainfektion gut überstanden habe. Diese Geschichte ähnelt den Erzählungen aus der Antike. Man könnte sich fragen, wo sind die Personen, die Bleichmittel getrunken haben und ihre Corona-Infektion oder das Bleichmittel nicht gut überstanden haben? Sie sind jetzt womöglich tot und deswegen schreiben sie eher nicht in diesen Foren.

Erfolgscoaches

Die gleiche kognitive Verzerrung liegt vielen Methoden von Erfolgscoaches und Mindsetcoaches zu Grunde. Auch hier sehen wir meistens nur die erfolgreichen Zeuginnen, die die empfohlenen Methoden angewendet haben. „Verlierer“ dieser Methoden werden selten nach ihren Erfahrungen gefragt bzw. wollen diese auch nicht unbedingt mitteilen. Auch Journalisten interessieren sich nicht unbedingt für die Erfolgsrezepte der „Normalos“. Der Zeugnisfriedhof der Mindsetcoaches dürfte somit recht groß sein.

Gegenmaßnahmen: wie kann der Survivorship Bias vermieden werden?

 1. Problembewusstsein

Der erste Schritt besteht bereits darin, für den Survivorship Bias ein Problembewusstsein zu entwickeln. Wenn die Gefahr bekannt ist, ist es leichter Gegenmaßnahmen zu treffen und entsprechende Fragen zu stellen.

Wir sollten uns immer fragen, welche Observationen unser Datensatz potentiell nicht berücksichtigt hat. Welche Gruppen wurden nicht erwähnt?

2. Kontext der Daten beachten

Die Daten enstehen in einem Kontext und auf diesen Kontext kommt es an. Als Experten für ein bestimmtes Thema muss es uns möglich sein die Gefahr von Survivorship Bias einzuschätzen.

3. Auf Zeitreihen im Datensatz und Datenerhebung in der Firma achten

Die Beachtung der Variable Zeit in den Datensätzen ist wichtig, um Survivorship Bias vorzubeugen. Auffäligkeiten in der Zeit der Beobachtungen sollten hinterfragt werden. Vielleicht löscht die Firma aus Kostengründen bestimmte Datenbestände? Es ist wichtig die genaue Datenerhebung der Firma (Datenpipeline) zu kennen: wie erhebt die Firma die Daten? Vielleicht liegt das Problem bereits in der Datenerhebung.

Mit diesen einfachen Regeln sollte es möglich sein den Survivorship Bias schnell zu erkennen und zu beheben.