Soll ich mein Kind zu Fuß auf den Weg zur Schule schicken und zwar alleine, oder sind die deutschen Straßen inzwischen so unsicher geworden, dass es zu riskant ist?
Laut Focus gehen inzwischen die wenigsten Kinder allein zur Schule:
„In den 70er Jahren machten sich noch mehr als 90 Prozent der Grundschüler in Deutschland allein auf den Schulweg. Im Jahr 2012 war es einer Forsa-Umfrage zufolge nur noch jeder zweite, andere Umfragen sprechen inzwischen von nur noch jedem dritten Grundschüler.“
Das Problem bei solchen Umfragen ist immer, dass sie nur eine Faccette des Problems beleuchten. Vielleicht hat sich die Gesamtlage so verändert, dass die wenigsten Eltern ihre Kinder guten Gewissens zu Fuß laufen lassen. Beispielsweise könnte es sein, dass die deutschen Straßen aufgrund des gestiegenen Autoverkehrs insgesamt gefährlicher für Fußgänger geworden sind. Auch wäre möglich, dass die Schulwege insgesamt länger geworden sind und die Kinder damit auf die Autos angewiesen sind.
Klar ist aber auch, dass Eltern heute mehr Angst um ihre Kinder haben. Insbesondere aus den USA hört man immer wieder Nachrichten über Polizeieinsätze bei frei spielenden Kindern.
Dabei scheinen die Statistiken eine andere Geschichte zu erzählen. Die Gefahrenlage für Kinder am Beispiel von England und Wales ist in dem Buch „Wirst du nicht vom Blitz erschlagen, lebst du noch in tausend Jahren“ von Blastland und Spiegelhalter sehr unterhaltsam zusammengefasst. Laut den Autoren sterben beispielsweise in England und Wales mehr Kleinkinder, weil sie sich mit den Schnüren einer Jalousie erdrosseln als im Straßenverkehr.
Wie sieht die Lage in Deutschland aus?
Um die Lage bezüglich der Kinder im Straßenverkehr zu analysieren, habe ich Daten vom Statistischen Bundesamt (Destatis) im Hinblick auf tödliche Unfälle im Straßenverkehr mit Kindern heruntergeladen. (Link zu den Tabellen.) Zusätzlich habe ich die in Excel bearbeiteten Daten online auf meinem Github Account gestellt.
Die Zahlen von Destatis gehen bis zum Jahr 2008 zurück.
Um die Lage besser einzuschätzen, schauen wir uns als erstes die generellen Trends bei der Anzahl der Kinder unter 15 Jahre alt für Deutschland an.
Trends in der Zahl der Kinder in Deutschland
So entckelte sich die Kinderzahl für Deutschland zwischen den Jahren 2008 und 2018.
Bis 2015 sank die Zahl der Kinder, die weniger als 15 Jahre alt waren in Deutschland von ca. 11 Millionen auf ca 10 Millionen. Seit dem Jahr 2014 wächst diese Zahl aber wieder beständig. Die Gesamtzahl ist wichtig, denn wir werden sie in Relation zu den Unfällen setzen.
Getötete Kinder (unter 15 Jahre alt) im Straßenverkehr
Der Trend zur sinkenden Kinderzahl bis 2014 ist auch in den Unfallstatistiken sichtbar. Die absoluten Unfallzahlen mit Todesfolge sanken bis 2014 um dann wieder zu steigen. Allerdings ist aus den Unfallzahlen kein eindeutiger Trend zu erkennen, denn die Zahlen schwanken und sind insgesamt für Deutschland relativ niedrig. Nichtdestotrotz sieht man in der Gesamtzahl der tödlichen Unfälle einen Rückgang von 100 unter 15-Jährigen pro Jahr auf 60 bis 80 unter 15-Jährige. Bei den Fußgängern schwankt die Zahl stark, was nicht verwunderlich ist, denn sie ist insgesamt relativ gering: zwischen 20 und 28 pro Jahr.
Getötete Kinder (unter 15 Jahre alt) – relative Zahlen
Im zweiten Schritt setzen wir die absoluten Zahlen in Relation zu der Gesamtzahl der Kinder unter 15 pro Jahr in Deutschland.
Die relativen Zahlen zeigen keine Veränderung im Vergleich zu den absoluten Zahlen.
Insgesamt sieht die Lage statistisch betrachtet nicht wirklich bedrohlich aus. Im Jahr 2018 sind um die 24 Kinder unter 15 Jahre alt auf dem Fußweg tödlich verunglückt. Im selben Jahr lebten in Deutschland laut Destatis 11.290.815 Kinder.
Können wir auf der Basis dieser Statistik tatsächlich Aussagen treffen, ob die Fußwege für Kinder sicher sind?
Wohl eher nicht. Denn die Statistiken selbst werden durch das Verhalten der Eltern beeinflußt. Vielleicht verunglücken so wenige Kinder, nicht weil unsere Straßen sicher geworden sind, sondern gerade deshalb, weil die meisten Eltern ihre Kinder in den Autos zur Schule bringen?
Die Richtung der Kausalität geht aus der Statistik nicht hervor. Es wären an dieser Stelle weitere Nachforschungen notwendig, die ich aber nicht weiter machen werde. Auf jeden Fall, als Mutter beruhigen mich die Zahlen trotzdem ein wenig.
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Im nächsten Beitrag werde ich einen technischen Kommentar zu diesem Post verfassen und erklären, wie solche Visualisierungen mit Python-Matplotlib sehr einfach zu erstellen sind. Die Jupyter-Notebook Datei mit der Analyse kann auf meinem Githubprofil heruntergeladen werden.
Bild von noelsch auf Pixabay
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